Kollision beim Umfahren eines stehenden Lkw
BGH, Urt. v. 04.06.2024 - VI ZR 374/23
Die Pflicht, beim Überholen einer Kolonne im Falle einer sich auftuenden Lücke wegen des dann häufig gewärtigenden Querverkehrs besonders besonnen und rücksichtsvoll zu fahren und nicht auf die Einhaltung der eigenen Vorfahrt zu vertrauen (sog. Lückenrechtsprechung), besteht nicht im Fall des bloßen Vorbeifahrens an einem in zweiter Reihe vor einer Grundstückseinfahrt stehenden Lkw.
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II. Das BerGer. hat den vom Kl. geltend gemachten Anspruch aus § 7 I, § 18 I StVG iVm § 115 I 1 Nr. 1 VVF frei von Rechtsfehlern verneint. Die Ausführungen des BerGer. zur Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge nach §§ 17 I, 18 III StVG sind nicht zu beanstanden.
1. Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 StVG ist - wie bei § 254 BGB - grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob der Tatrichter alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtig und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat. Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, das heißt unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (stRspr, vgl. zuletzt Senat NJW 2024, 146 Rn. 12; NJW 2023, 1361 Rn. 29; NJW 2022, 1810 Rn. 8, jew. mwN)
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4. Wahrt der Ein- bzw. Ausfahrende das Vorfahrtsrecht des fließenden Verkehrs nicht und kommt es deshalb zu einem Unfall, hat er in der Regel, wenn keine Besonderheiten vorliegen und insbesondere dem Unfallgegner nicht ebenfalls ein Sorgfaltspflichtverstoß zur Last liegt, in vollem Umfang oder doch zum größeren Teil für die Unfallfolgen zu haften (vgl. Senat NJW-RR 2012, 157 Rn. 9). Unter den Umständen des Streitfalls ist es daher rechtlich nicht zu beanstanden, dass das BerGer. die Betriebsgefahr des Pkw des vorfahrtsberechtigten Bekl. zu 1. bei der gem. § 17 I und II StVG vorzunehmend Abwägung hat zurücktreten lassen.
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